Psychosomatische Fachklinik Sonneneck

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Achtsamkeit

Der Begriff Achtsamkeit (engl. awareness, mindfulness) beschreibt sowohl eine innere Haltung als auch eine bestimmte Art des Verhaltens mit den Phänomenen, den Dingen des Lebens umzugehen. Ursprünglich aus der 2500-jährigen buddhistischen Tradition stammend, hat er seit den 80-er Jahren des letzten Jahrhunderts Eingang in die moderne Psychotherapie, aber auch ganz allgemein in die „Lifestyle“-Bewegung gefunden. Kaum eine Illustrierte, ein Nachrichtungsmagazin oder eine Apotheker-Kundenzeitung hat es versäumt, sich mit diesem Phänomen zu befassen. In Frankreich ist „Zen“ eines der meistbenutzten Wörter, wenn es um Cool-Sein geht.

Es gibt verschiedene Definitionen von Achtsamkeit. Ihnen übereinstimmend sind folgende Punkte:

Konzentration auf die Situation des Hier und Jetzt bei gleichzeitig weit geöffneter Wahrnehmung. Das heißt, die Konzentration schließt andere Einflüsse, die auftreten, nicht aus.

In den alten Sutren des Buddhismus werden die vier Grundlegungen der Achtsamkeit beschrieben:

  1. Achtsamkeit auf den Körper
  2. Achtsamkeit auf Gefühle und Empfindungen mit Beachtung deren Wirkungen auf die beobachtende Person (angenehm, unangenehm, neutral – dies als Beobachtung, nicht als Bewertung)
  3. Achtsamkeit auf den Geist (den aktuellen Zustand, die Veränderung dieses Zustandes und die Qualität des Zustandes, wie z. B. Ablenkung, Anspannung, Konzentration oder Unkonzentriertheit).
  4. Achtsamkeit auf die Objekte des Geistes (alles was im Äußeren und Inneren derzeit wahrgenommen wird).

Ein weiterer wichtiger Punkt der Achtsamkeit ist das Nichtwerten, d. h. die Zustände und Situation zu beobachten, ohne ihnen kognitive Etiketten aufzukleben.

Der letzte Punkt der Achtsamkeit ist die sogenannte Absichtslosigkeit, d. h. Achtsamkeit zu praktizieren ohne einen bestimmten Zweck oder eine Absicht, lediglich um ihrer selbst willen.

Betrachtet man die moderne Achtsamkeitsbewegung im Psychologie- und im Lifestyle-Bereich, so ergeben sich gerade beim Punkt der Absichtslosigkeit durchaus Widersprüchlichkeiten.

Der Ausgangspunkt dieser Bewegungen ist durchaus absichtsvoll in dem Sinne, dass den Menschen angeboten wird ein besseres, stressfreieres, weniger angestrengtes Leben durch die Übung dieser Methoden führen zu können. Dies ist sicherlich im Wesentlichen den Zielsetzungen unserer modernen westlichen Lebensphilosophie geschuldet, die durchaus im Allgemeinen Zwecke und Absichten für die Motivation einer Tätigkeit als sinnvoll und notwendig voraussetzt.

So zeigt, trotz aller grundsätzlicher Kritik an dieser Haltung die Achtsamkeitsbewegung durchaus eine Wirkung. Durch kontinuierliches Üben von Achtsamkeit, insbesondere in den verschiedenen Achtsamkeitsmeditationen, werden Menschen tatsächlich achtsamer, einfühlsamer, gelassener und diese Gelassenheit  führt schließlich im Laufe der Übungen auch zu mehr Absichtslosigkeit.

In der modernen Psychotherapie haben sich bereits in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts insbesondere in der Gestalttherapie und anderen humanistischen Therapien, Formen von Bewusstheit und Gewahrsein herausgebildet (awareness). Und auch in der Psychoanalyse C.G. Jungs und  Erich Fromms  zeigen sich deutliche Anklänge an Achtsamkeitsmethoden.

In den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts gab es erstmals Interesse an experimenteller Erkundung von hirnorganischen Wirkungen der Achtsamkeitsmethoden, vor allem in der Achtsamkeits- bzw. Zen-Meditation (Meister Deshimaru et. al), und es wurden erste EEG-Studien bei Meditierenden durchgeführt, die klare, beruhigende Wirkungen auf die Hirnstromkurven nachweisen konnten. Mit den neuen bildgebenden Verfahren der Kernspin-Tomographie (f-MRT) ließen sich weitere positive Veränderungen in tieferen Hirnregionen nachweisen.

Jon Kabat-Zinn, der als Arzt an einer Klinik an der US-Westküste erstmals eine kompakte, westlich-säkulare Methode zur Achtsamkeitsverbesserung entwickelte (Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion – Mindfulness Based Stress Reduction, MBSR) setzte diese Methoden bei chronischen Schmerzen oder anderen Schwierigkeiten im Heilungsprozess von körperlich erkrankten Patienten mit guten Erfolgen ein und wurde damit zur Galionsfigur der modernen Achtsamkeitsbewegung.

Die neuen Methoden wurden schließlich von der sogenannten „3. Welle“ der Verhaltenstherapie, aufgenommen, ausgebaut und wissenschaftlich weiter erforscht, was in neue, meist eklektische Therapiemethoden mündete: Dialektisch behaviorale Therapie, Akzeptanz- und Commitment-Therapie – ACT, Achtsamkeitsbasierte kognitive Therapien (Mindfulness Based Cognitive Therapy, MBCT).

Mittlerweile haben achtsamkeitsbasierte Methoden sowohl als Prophylaxe bei psychischen und körperlichen Störungen als auch in der aktuellen Psychotherapie einen festen Platz eingenommen.

Hier seien insbesondere erwähnt: Depressionen, Burn-out-Syndrome, Angststörungen, Zwangsstörungen, Essstörungen, Borderline-Persönlichkeitsstörungen.

Versucht man als Therapeut*in und Lehrer*in, Menschen achtsame Haltungen und Verhaltensweisen nahe zu bringen, so ist man schnell in der oben beschriebenen Paradoxie von absichtsvoll und absichtslos. Es geht einerseits darum, achtsamkeitsförderne Methoden praktisch zu unterrichten, andererseits auch darum, die Dichotomie von Absicht und Absichtslosigkeit bei den Übenden anzusprechen.

Ein zentraler Punkt dieses Unterrichtens ist das Üben selbst, die Anleitung zur Meditation und das kontinuierliche Üben der Meditation.

Die Übung ist ein Dreh- und Angelpunkt aller Achtsamkeitsmethoden und wird in den Originaltexten aller buddhistischen Richtungen immer wieder angesprochen. So gibt es im Zen z.B. ein Gebot, das heißt „Die Anstrengung und die fortgesetzte Anstrengung“, im modernen Jargon könnte man sagen „dranbleiben“.

Für Menschen, die in säkularen Gesellschaften, wie unsere heutigen modernen westlichen Gesellschaften leben, scheint es daher wichtig, Meditation nicht nur allein im stillen Kämmerlein zu üben, sondern auch immer wieder in festen Gruppen mit seriösen Anleitern und Lehrerinnen. Beides, sowohl das individuelle Üben, als auch das zusätzliche Üben in Gruppen schafft so häufig die Voraussetzungen für die Motivation zur Kontinuität und damit auch das Erleben positiver Veränderungen bei sich selbst.

In der Fachklink Sonneneck in Badenweiler gibt es verschiedene, sich ergänzende Achtsamkeits-Angebote:

  • eine Achtsamkeits-Meditations-Gruppe (angelehnt an Zen-Meditation)
  • eine Achtsamkeitsgruppe mit verschiedenen Übungsangeboten
  • eine MBCT-Gruppe mit intensiveren Übungsangeboten

Letzten Endes zeigt es sich, dass man viel über Meditation und Achtsamkeit schreiben, erzählen und forschen kann, dies jedoch das lebendige Üben und die lebendige Erfahrung niemals ersetzt.

Es ist so als wollte ich Ihnen einen Boskop-Apfel in seinem Geschmack, seiner Konsistenz und seinen Farben erklären oder wissenschaftlich sezieren, was sicherlich möglich ist. Das direkte Anschauen, Fühlen, Hineinbeißen und Schmecken ist jedoch so viel komplexer, reichhaltiger und sinnlicher, als dass es durch eine Erklärung oder Beschreibung ersetzt werden könnte. In diesem Sinne gilt die Aufforderung für die Neugierigen, nicht nur über Achtsamkeit zu lesen, sondern in die Übung, die reale Erfahrung einzutauchen.

Oder mit Erich Kästner gesprochen: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“

Autor: Manfred Best – Leitender Oberarzt und seit über 30 Jahren Erfahrungen mit Zen-Meditation

 
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